Kann jeder improvisieren am Klavier lernen? Warum eine Komponistin es nicht kann und nie lernen wird.

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Kann jeder improvisieren am Klavier lernen? Probleme und Tipps für Anfänger und Fortgeschrittene.

Warum kann ich nicht improvisieren? Diese Frage stelle ich mir schon seit vielen Jahren und endlich habe ich eine Antwort darauf gefunden. Wenn du Klavier spielen lernst und dich das Thema Improvisation interessiert lies weiter, denn dann wirst du sicher von meinen Erkenntnissen profitieren. Falls du zum ersten Mal auf meinem Blog bist: Ich verdiene mein Geld – neben dem Unterrichten – als Komponistin und Verlegerin. ZauberKlavier-Verlag heißt mein Unternehmen. Kannst du dir vorstellen, dass ich nur mit Noten am Klavier “zaubern” kann? Ohne Noten kann ich nichts – wirklich gar nichts – spielen. Ich kann nicht einfach drauf los spielen, nicht improvisieren. Dabei bin ich Musikerin, ich habe ein klassisches Klavierstudium abgeschlossen. Also wenn du gedacht hast, dass jeder Musiker improvisieren kann, nein, dem ist nicht so.

Wie entstehen meine Kompositionen? Ich komponiere auf dem Papier. Ein Stück entsteht Takt für Takt. Viele haben die Vorstellung, ich denke mir ein Stück aus und schreibe es dann auf, wenn es fertig ist. Ich improvisiere ein Stück also und notiere es dann. Fehlanzeige. Natürlich verstehe ich das Konzept des freien Klavierspiels und zeige meinen erwachsenen Schülern regelmäßig einfache Improvisationsmodelle, so dass sie sich auch ans Klavier setzen können, wenn sie keine Lust zum Üben haben. Ich finde das toll. Und ich bewundere und beneide Kolleginnen und Kollegen, die frei spielen können. Wie gesagt, ich kann das leider nicht. Oft habe ich dieses Thema in Klavierlehrerforen diskutiert und immer wurde behauptet, ich würde etwas falsch machen, denn Improvisieren kann jeder lernen.

Kann jeder improvisieren lernen?

Eine andere Frage. Kann jeder Ballett tanzen lernen? Sofern keine körperlichen Einschränkungen vorliegen, sicher. Bis zu einer individuellen Grenze, die schwer zu überwinden ist. Denn Tanzen (und Musizieren) erfordern eine tiefe Verbindung von Körper und Geist. Nur sehr wenige werden richtig gute Tänzer. Dies verlangt ein hohes Maß an Disziplin, Training und die richtigen Lehrer. Man muss dafür geboren sein und sehr früh beginnen. Ohne eine natürliche Anlage, eine besondere Begabung kommen wir relativ schnell an die besagte persönliche Leistungsgrenze. Und dann braucht es viel Fleiß und Durchhaltevermögen für weiteren Fortschritt. Und der ist oft gering. Besonders, wenn wir erst als Erwachsene beginnen, uns mit etwas Neuem zu beschäftigen. Aber bis zu dieser persönlichen Grenze können wir wahrscheinlich nahezu alles lernen. Wenn keine physischen oder psychischen Hindernisse im Weg stehen.

Welche Fertigkeiten brauchen wir zum Improvisieren?

Ich denke, dass es auf drei Punkte ganz besonders ankommt. Wir brauchen einen Vorrat an Bausteinen, wir müssen also Improvisationsbausteine bzw. Modelle lernen. “New Classics Piano Improvisation” von Cornelia Malecki ist meine Empfehlung dafür.

Wir brauchen die Fähigkeit, in gewisser Weise vorauszudenken, denn irgendwie muss geplant werden, wie es weitergeht, wenn eine flüssige Improvisation entstehen soll. Zumindest wenn wir zu einem Niveau kommen wollen, in dem eine bestimmte Taktart zu hören ist, die Melodie Phrasen bildet und das Stück einen Spannungsbogen besitzt.

Und, für ein Niveau, welches über anfängliches Ausprobieren und “Klimpern” hinausgeht, benötigen wir eine andere essentielle Fähigkeit. Wir müssen in der Lage sein, auswendig spielen zu können. Auch hier finde ich einen Vergleich mit Tanzen stimmig. Tanzen ist eine Folge von Schritten, Figuren, Drehungen… Also Bausteine, die aneinandergereiht werden. Das ist sehr ähnlich am Klavier. Als Grundschritt kann man eine Akkordfolge nehmen. Darüber eine Melodie improvisieren. Dann die gebrochenen Akkorde rechts spielen und links nur die Basstöne, vielleicht als Oktaven und mit einem interessanten rhythmischen Motiv. Und so weiter und so fort. Ganz simpel formuliert. Wir kombinieren bekannte Elemente, variieren sie, probieren neue aus. Ein großer Teil dieser Elemente muss abrufbar sein, sprich, in unserem motorischen Gedächtnis zur Verfügung stehen. Wer beim Grundschritt schon stolpert, kann keinen abwechslungsreichen, sicheren Tanz aufs Parkett legen.

Meine Einschränkung: ADHS

Warum ich nicht fähig bin, zu improvisieren? Weil ich nicht auswendig spielen kann. Und warum kann ich nicht auswendig spielen? Weil ich ADHS habe. Nein, ADHS ist kein Trend und das hat nicht jeder irgendwie. ADHS ist nicht lustig. Kurz gefasst: der Gehirnstoffwechsel ist gestört oder “anders” und das bringt Probleme mit sich. Je älter ich werde, um so größer werden die Probleme, da hormonelle Veränderungen die Symptome verstärken. Bei ADHS ist das Gehirn mit Dopamin unterversorgt, was zu Lernproblemen führt und definitiv auch die Motorik beeinflusst. Viele Betroffene berichten, dass Bewegungen nicht automatisch gespeichert werden. Ich kann eine Stunde ein Stück für eine Aufnahme üben und nimmt man mir die Noten weg, können sich meine Hände nicht einmal an den ersten Takt erinnern. (Und mein Kopf auch nicht, wenn ich ehrlich bin.) Ich habe keinerlei Fingergedächtnis. Wirklich null. Im Studium ging das auswendig spielen noch irgendwie aber auch da war es schon eine Qual. Tatsächlich können sich meine Hände aber noch an ein paar wenige Takte aus dieser Zeit erinnern.

Ohne Bausteine kann ich nichts bauen. Ich kann improvisieren nicht lernen – mein Gehirn lässt es nicht zu. Nicht nur die Fähigkeit des Auswendigspielens ist inzwischen auf Null, auch das Vordenken während des Spielens ist unfassbar anstrengend für mich. So anstrengend, dass ich es nicht freiwillig tun würde.

Ich habe Jahre gebraucht, um das zu verstehen. Und ich habe mich jahrelang schlecht gefühlt, immer den Gedanken im Kopf, ich mache etwas falsch. Ich müsste doch auch improvisieren lernen können – weil es andere behauptet haben. Und zwar vehement und oft ungefragt.

Wir haben nicht alle die gleichen Fähigkeiten und das ist wunderbar so. Komponieren finde ich ohnehin viel leichter als Improvisieren. 🙂 Manche können besser kochen und manche besser backen und bei manchen möchte ich gar nicht zum Essen eingeladen werden.

Einige wollen fertige Stücke lernen und andere würden die Krise bekommen, wenn sie das tun müssten. So wie Klassiker und Popularmusiker. Wir haben alle unsere Anlagen und Begabungen. Und manche haben Einschränkungen, die bestimmte Dinge nicht zulassen. Ich habe gelesen, viele Kreative haben ADHS. Vielleicht gibt es ja genau deswegen den ZauberKlavier-Verlag.

Blogartikel mit Improvisationsideen

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Was sind deine Gedanken und Tipps zum Thema Improvisieren?

Würdest du gern improvisieren können? Wie lernst du das? Kannst du ein bestimmtes Lehrwerk empfehlen? Einen Youtube-Kanal? Was hat bei dir funktioniert? Ich freue mich sehr auf deine Meinung zu diesem Thema.

Sandra

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10 Gedanken zu „Kann jeder improvisieren am Klavier lernen? Warum eine Komponistin es nicht kann und nie lernen wird.

  1. Cornelia Malecki

    Liebe Sandra, erst einmal herzlichen Dank zur Nennung von „New Classics Piano Improvisation“. Einen ganz ganz interessanten Aspekt nennst du da in deinem Artikel. Für das Improvisieren ist es für mich selbst absolut wichtig und unerlässlich, dass man Dinge auswendig lernt. Ohne die auswendig gelernten „Bausteine“ kann ich nicht frei spielen, denn auf die muss ich zurück greifen, kann diese dann frei kombinieren und variieren. Bei viel Übung passiert das dann auch intuitiv. Zumindest ist es bei mir so, vielleicht gibt es ja auch Menschen, die improvisieren, ohne diese „Bausteine“ zu nutzen. Was ich zwar nicht glaube, unbewusst nutzen sie auf jeden Fall ihr Gedächtnis mit musikalischen Mustern. Es gibt ja auch die andere Seite, sehr vielen Menschen fällt das Notenlesen so schwer, sie merken sich dafür alles sofort. Hat alles Vor- und Nachteile. Wichtig ist, sich seiner Stärken bewusst zu sein und diese zu nutzen. Die Schwächen muss man akzeptieren oder kann versuchen, sie zu verbessern, falls möglich. Aber dazu sind wir ja menschliche Wesen, die Musik machen, ob nach Noten, nach Gehör oder improvisiert, Hauptsache es ist mit Gefühl und Leidenschaft.

    Antworten
    1. Sandra Beitragsautor

      Danke für Deine Gedanken, liebe Cornelia!
      Ja, sich seiner Stärken bewusst zu werden, ist ein sehr sinnvoller Schritt. Und auch zu akzeptieren, wenn man etwas nicht kann, finde ich. Dann hat man auch mehr Zeit für die Dinge, die man gut kann. 🙂
      Hauptsache Musik machen, auf welche Art und Weise auch immer… 😀

      Viele Grüße, Sandra

      Antworten
  2. Eva-Maria

    Liebe Sandra,
    ich bin so dankbar, dass ich Deine wunderbaren Kompositionen und alle weitere Ideen kennenlernen durfte und sie auch für mich und im Unterricht anwenden darf.
    Danke für diese Deine wunderbaren Ausführungen!
    Schon jetzt freue ich mich auf alles, was noch kommen wird.
    Herzliche Grüße
    Eva-Maria

    Antworten
    1. Sandra Beitragsautor

      Ganz herzlichen Dank für Deinen lieben und wertschätzenden Kommentar, liebe Eva-Maria!
      Ich freue mich sehr darüber!

      Alles Gute aus Mannheim,
      Sandra

      Antworten
  3. Simone

    Liebe Sandra,
    als Klavierlehrerin mit spät diagnostizierter ADHS finde ich mich in vielem, was Du beschreibst, so sehr wieder. Ich habe zeit meines Lebens nur unter größten Anstrengungen auswendig lernen und spielen können und Improvisieren war immer ein Problem, obwohl das Theoriewissen dafür vorhanden ist und das Thema Improvisation (zumindest in einfacher Form) sogar auch Teil meines Unterrichtsprogramms ist und ich auf der theoretischen Ebene durchaus in der Lage bin, es anderen zu vermitteln.
    Als jemand, der schon seine Müh und Not hat, sich einfache Alltagshandlungen wie das Abschliessen der Haustür zu merken, wundert mich das im Kontext mit ADHS gar nicht. Das kreative Potenzial ist riesengroß, das Gedächtnis (teilweise) grottenschlecht und der Kopf so voll, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht und sich in der Improvisation hoffnungslos “verirrt”. Das “Schwirren im Kopf” während des Improvisierens empfinde ich als äußerst unangenehm, gleichzeitig der Leistungsdruck, als professionelle Musikerin “abliefern” zu müssen – es ist immer von allem zu viel, zu überfordernd, zu wenig strukturiert.
    Die Auswendig-Thematik ist mit steigendem Alter (und steigendem ADHS-Leidensdruck) schlimmer geworden, so wie alles in diesem Zusammenhang immer mehr Ressourcen kostet, weil die Kompensationskräfte schwinden. Der gleichzeitig gestiegene Druck und Anspruch an sich selber, das aber können zu MÜSSEN macht es nicht unbedingt besser.

    Antworten
    1. Sandra Beitragsautor

      Ich danke Dir sehr für Deinen Kommentar, Simone!
      Der Kontakt mit Dir hat mich ermutigt, meine “Entdeckung” zu teilen. Eben dass das Unvermögen, auswendig zu spielen bzw. große Probleme damit zu haben und ADHS in Verbindung stehen.
      Mir hilft diese Erkenntnis sehr und ich hoffe, Du musst jetzt auch nicht mehr müssen.

      Liebe Grüße,
      Sandra

      Antworten
  4. Jansen

    Liebe Sandra,
    vielen Dank für deinen sehr persönlichen Beitrag über die Improvisation.
    Das Cornelia Malecki Heft habe ich auch, die Beispiele sind abwechslungsreich und ich habe ein paar davon im Unterricht eingesetzt. Nur der Quintenzirkel mit 13 Einteilungen ist leider nicht brauchbar, das ist verwirrend: FIS und Ges gehören zusammen, finde ich.
    Mit herzlichen Grüssen aus der Schweiz,
    Christine.

    Antworten
      1. Johannes Spyrka

        Liebe Sandra,

        Ich glaube nicht das ADHS grundsätzlich unfähig zum Improvisieren macht.Sicher abeerschwert es Vieles.Ich weiß das denn ich habe diese Symptomatik auch.Ich
        habe schon viele Stücke komponiert und trotzdem nur nach und nach und mit viel Mühe improvisieren gelernt.
        Es ging bei mir über Bausteine,die ich in Lehrgängen und aus Büchern gelernt habe.Wichtig war für mich diese durch alle Tonarten transponiert konsequent zu üben.
        In diesem Zusammenhang kann ich ein Buch aus einem anderen Bereich wärmstens empfehlen: Franz Josef Stoiber :“Faszination Orgelimprovisation“ BA 11241
        Da finden sich Sequenzen,Tonleiterharmonisationen und auch andere Bausteine für die Improvisation.Im Jazzbereich finde ich das Material von Phillip Moehrke sehr gut.
        Voicing Concepts und Soloconcepts bieten da eine sehr systematische Vorgehensweise.Das und dazu seine Ohren mit EarMaster Modulen hochtrainieren kann echt helfen.
        Das habe ich selber erlebt.

        Antworten
        1. Sandra Beitragsautor

          Vielen Dank für Deine Erfahrungen und Tipps, lieber Johannes!
          Ich habe aber nicht geschrieben, dass ADHS unfähig zum Improvisieren macht. Ich habe geschrieben, dass MEIN ADHS dafür verantwortlich ist, dass ICH NICHT auswendig spielen kann. Mein motorisches Gedächtnis ist gestört durch die Störung des präfrontalen Cortex. Früher war es schon sehr schlecht und inzwischen ist mein motorisches Gedächtnis bei Null. Es geht nichts automatisch. Und es bleibt nichts hängen. Nichts. Egal, wieviel ich übe. Ich habe kein motorisches Gedächtnis. Und deswegen kann ICH nicht praktisch improvisieren. Das würde nur mit permanenten Denken gehen und das kann mein Gehirn nicht leisten.
          Bitte vergiss nicht, dass ADHS bei Männern und Frauen hat ADHS unterschiedliche Auswirkung hat. Und dass es einen Grund hat, warum viele Frauen erst spät diagnostiziert werden. Nämlich dann, wenn sich die hormonelle Situation verändert. Und die verändert sich in machen Lebensphasen extrem.
          ADHS ist nicht ADHS.
          Zum Improvisieren braucht es die Fähigkeit, auswendig spielen zu können und die habe ich nicht. Und die ist FÜR MICH auch nicht erlernbar.
          Das gilt selbstverständlich nicht für jeden ADHSler. Es gibt unterschiedliche Typen und die Symptome sind unterschiedlich. Männer und Frauen sind unterschiedlich.

          Herzliche Grüße,
          Sandra

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